Cicero in Verrem (alle Kapitel)
1. Ich komme nun zu dessen Hobby, wie er es selbst nennt, zur Krankheit und Wahnsinn, wie es seine
Freunde nennen und zur Räuberei, wie es die Sizilianer nennen. Ich weiss nicht, welchen Namen ich nun
nennen soll. Ich will euch nun die Sachlage vorstellen; ihr müsste diese nicht nach ihrer Bezeichnung,
sondern nach ihrem eigenen Gewicht beurteilen. Ihr müsst zuerst den Tatbestand kennenlernen, Richter,
danach werdet ihr vielleicht ohne große Mühe herausfinden, wie ihr diesen Sachverhalt bezeichnen wollt. Ich
behaupte, dass in ganz Sizilien, in so einer reichen, in so einer alten Provinz, in so vielen Städten, in so vielen
Familien mit so Großem Reichtum, nicht irgendein silbernes Gefäß, nicht irgend etwas Delisches oder
Korinthisches, nicht irgendein Edelstein und nicht irgendeine Perle, irgendetwas aus Gold oder Elfenbein
gefertigtes, nicht irgend ein Standbild aus Erz, Marmor, Elfenbein gegeben hat, und ich behaupte, dass es
nicht irgendein Gemälde weder auf Holz noch auf Leinwand gab, ohne dass er es aufgestöbert, angeschaut
und nach seinem Gefallen weggetragen hat.
2. Ich scheine Grosses zu sagen: gebet zuerst Acht, wie ich es sage. Nicht um Worte zu machen noch um
die Anklageschrift zu vergrößern, erfasse ich alles: wenn ich sage, dass dieser da nichts derartiges in der
ganzen Provinz zurückgelassen hat, dann müsst ihr wissen, dass ich Klartext rede und nicht wie ein
redegewandter Anwalt. Noch klarer sage ich, dass nicht einmal im Haus irgendjemandem, nicht einmal im
Haus eines Gastgebers, nicht einmal an öffentlichen Orten, nicht einmal in Tempeln, nicht einmal bei den
Sizilianern, nicht einmal bei den römischen Bürgern, schließlich hat er nichts, was ihm vor die Augen und vor
seinen Geist gekommen ist, weder Privates noch Öffentliches, noch Weltliches, noch Heiliges in ganz Sizilien
zurückgelassen.
3. Wo soll ich also eher beginnen als bei der Gemeinde, welche dir zugleich lieb und teuer gewesen war,
oder bei welcher Gruppe soll ich eher anfangen als bei deinen Entlastungszeugen? Denn es wird einfacher
zu durchschauen sein, wie du bei denen warst, die dich hassen, die dich anklagen, die dich verfolgen, wenn
sich herausstellen sollte, dass du bei deinen Freunden, den Messanern Beute gemacht hast und das auf
diese Art und Weise.
C. Heius ist ein Einwohner von Messana - alle geben mir dieses leicht zu, welche einst in Messana gewesen
sind, und der meist Begütetste der ganzen Stadt. Sein Haus ist wahrscheinlich das bedeutendste Messanas,
das bekannteste und sicherlich auch für unsere Leute (=Römer) immer offen und gastfreundlich. Dieses
Haus war vor der Ankunft von diesem da so schmuckvoll eingerichtet, dass es auch der Stadt zum
Schmucke wurde, denn selbst Messana, welches durch seine gute Lage, die Stadtmauern und den Hafen
ausgezeichnet ist, ist von den Sachen, auf die jener scharf ist, praktisch leergefegt.
4. Im Haus des Heius war ein uraltes Heiligtum, mit größter Würde von den Vorfahren überliefert worden ist,
in welchem sich vier sehr schöne Standbilder von größter Kunstfertigkeit und von größter Berühmtheit
befanden, welche nicht nur diesem begabten und kunstverständigen Mann da, sondern auch jedem von uns,
welche er als Idioten bezeichnet, eine Freude bereiten könnten, darunter ein marmornes Götterbild des
Liebesgottes ,,Kupido" von Praxiteles gefertigt.
Ohne Zweifel habe ich, während ich gegen ihn Untersuchungen geführt habe, die Namen der Künstler
kennengelernt. Der selbe Künstler, meine ich, hat eine gleichartige Statue des Kupido gemacht und zwar
diejenige, die in Thespiä ist und wegen der, Thespiä besichtigt wird; denn es gibt keinen anderen Grund,
Thespiä zu besuchen. Und auch jener L. Mummius hat, obwohl er die Thespiaden, welche beim Tempel der
Felicitas sind, und die übrigen profanen Statuen aus der Stadt mitgenommen hat, genau diesen Kupido nicht
angerührt, weil er geweiht war.
5. Aber damit ich wieder auf diese Kapelle zu sprechen komme, gab es da eine Statue, von welcher ich rede,
der marmorne Kupido, und auf der anderen Seite einen Herkules, der aus Bronze ausgezeichnet gefertigt
war. Es wird gesagt, dass diese Statue von Myron gefertigt wurde, wie ich glaube, und das gewiss. Ebenso
waren vor jenen Göttern kleine Altare, die jenem hätten zeigen können, dass hier religiöse Handlungen
vollzogen werden. Ausserdem gab es dort zwei Statuen aus Bronze, nicht sehr grosse aber von äusserster
Schönheit und in mädchenhafter Haltung und Kleidung, welche mit hocherhobenen Händen bestimmte
Heiligtümer nach Art und Weise der athenischen Mädchen auf ihren Köpfen hatten. Sie wurden Kanephore
genannt; aber wer war dessen Künstler, wer denn? Ganz richtig, man sagt, dass der Künstler dieser Statuen
Polyklet war. Sobald jemand von uns nach Messina gekommen war, war man sich gewohnt, diese zu
besichtigen, denn sie standen täglich zur Besichtigung offen, das Haus war nicht nur eine Zierde für den
Herrn, sondern mehr noch für die ganze Stadt.
6. All diese, was ich gesagt habe, die Statuen und Heiligtümer, ihr Richter, hat Verres gestohlen; keines,
sage ich, von diesen, hat er zurückgelassen; doch die uralte hölzerne Statue der ,,Bona Fortuna", wie ich
glaube, wollte er nicht in seinem Hause haben. So wahr mir Götter und Menschen helfen! Was ist es? Was
ist das für eine Sache, welche Schamlosigkeit? Die Statuen, welche ich erwähnt habe, bevor sie von dir
weggetragen wurden, ist niemand mit Amtsgewalt nach Messana gekommen, der diese nicht besuchte. So
viele Stadthalter, so viele Konsule sind in ganz Sizilien sowohl in Zeiten des Friedens als auch ganz
besonders in Zeiten des Krieges gewesen, so viele Menschen jeglicher Art, ich rede hier nicht von den
Rechtschaffenden, Unschuldigen oder Gläubigen - so viele Gierige, so viele Unanständige, so viele Freche,
niemand von diesen schien so mächtig, so kurzentschlossen, so nobel, dass er sich traute, irgendetwas aus
diesem Heiligtum zu verlangen, wegzutragen oder zu berühren. Wird Verres überall das, was am Schönsten
ist, wegnehmen? Soll das Haus von diesem da als einziges so viele reichbegütete Häuser aufnehmen? Hat
deshalb niemand seiner Vorgänger diese angerührt, damit er diese beseitigen konnte? Hat deshalb C.
Claudius Pulcher alles wieder zurückgebracht, damit C. Verres es rauben konnte?
Aber jener Kupido suchte weder nach einem Haus eines Kupplers noch nach Mätressenwirtschaft; ohne
Schwierigkeiten hielt er sich in der Kapelle der Vorfahren auf. Er wusste, dass er dem Heius als Erbschaft
von heiligen Gegenständen von dessen Vorfahren überlassen worden war, aber er suchte nicht nach einem
Erbe einer Dirne! (Personifizierung: Cicero lässt den Kupido lebendig werden)
7. Der folgende Fall ist aber ganz toll, denn, als er als sehr fleissiger und sorgfältiger Stadthalter nach
Haluntium gekommen war, wollte er nicht selbst in die Stadt gehen, weil der Aufstieg zu ihr schwierig und
steil war, sondern er befahl, dass der Haluntier Archagathus, ein Mann, der nicht nur zu Hause, sondern in
ganz Sizilien besonders bekannt war, zu sich gerufen wird. Er gab ihm den Auftrag, was auch immer aus
haluntischem Silber oder was es auch immer an corinthischem in Haluntium gab, sofort all das aus der Stadt
zum Hafen herab zu schaffen.
Archagathus steig zur Stadt hinauf. Der adelige Mann, der von den deinen geliebt und geschätzt erden wollte,
hatte schwer zu tragen an dem von diesem übertragenen Auftrag, und er wusste nicht, was er machen sollte.
Er verkündete öffentlich, was ihm befohlen worden war. Er befahl, dass alle herausgaben, was sie besaßen.
Die Furcht war äußerst groß. Denn der Tyrann, Verres selbst, war nicht weit weg. Er erwartete Archagathus
und die Silbergegenstände, in der Sänfte liegend, am Meer unterhalb der Stadt.
8. Was glaubt ihr, was das für ein Anlauf auf die Stadt war, was für ein Geschrei oder ferner, was für ein
Wehklagen der Weiber?
Wenn irgendjemand gesehen hätte, wie das trojanische Pferd hereingeführt worden ist, würde er sagen,
dass die Stadt erobert worden sei. Vasen wurden ohne Deckel herausgehoben, Türflügel von vielen Leuten
wurden zerschmettert und die Riegel heraus gebrochen, anderes wurde aus den Händen der Frauen
entrissen was glaubt denn ihr? Wenn einst die Schilder von den Privaten im Krieg und auch im Kriegszustand
beschlagnahmt wurden, gaben sie die Menschen dennoch unwillig, auch wenn sie wussten, dass sie zum
gemeinsamen Wohl gegeben werden.
Denkt aber nicht, dass irgendjemand ohne grosse Schmerzen das getriebene Silbergeschirr aus den
Häusern herausgegeben hat, damit ein anderer es ihm entreissen kann. Alles ist abgeliefert worden. Die
Brüder aus Cibyra sind herbeigerufen worden, nur wenige Dinge haben sie verworfen, diesen, welche sie
billigten, wurden die Reliefstreifen oder auch die eingelegten Bilder entrissen. Auf diese Weise kehrten die
Haluntier mit dem restlichen Silber nach Hause zurück, nachdem die Kleinodien herausgeschlagen worden
waren.
9. Ich komme nun schon nicht mehr zu dem Diebstahl, nicht zu der Habsucht und nicht zu der Begierde,
sondern zu einem derartigen Verbrechen, in welchem mir alle Schandtaten enthalten und inbegriffen
scheinen; Bei diesen sind die unsterblichen Götter verletzt worden, der Ruf und das Ansehen des Namens
des römischen Volkes geschmälert worden, die Gastfreundschaft mit Füßen getreten und verraten worden,
alle uns sehr befreundeten Könige durch das Verbrechen dieses da abspenstig gemacht wurden, und die
Völker, die unter deren Herrschaft und Weisungsbefugnis stehen. Denn ihr wisst, dass die syrischen Könige,
die jugendlichen Söhne des Königs Antiochus, neulich in Rom waren; sie waren nicht wegen dem syrischen
Reich gekommen, denn jenes hatten sie ohne Meinungsverschiedenheit in Besitz, wie sie es vom Vater und
von den Vorfahren empfangen hatten, sondern sie glaubten, dass sich das ägyptische Reich ihnen selbst
und ihrer Mutter Selene gehöre. Nachdem diese wegen dem Senate nicht tun konnten, was sie wollten, weil
sie durch die Zeitumstände des Staates gehindert worden sind, sind sie nach Syrien in ihr Heimatland
aufgebrochen. Der eine von ihnen, der Antiochus genannt wurde, wollte den Weg nach Sizilien machen, und
so ist er währen dieser da Prätor war nach Syrakus gekommen. Selbst Freunde blieben nicht verschont
10. Dieser Verres hat geglaubt, dass er für ihn ein Erbe gekommen sein, weil derjenige in sein Reich und
seine Hände gekommen war; er hat von ihm gehört, und vermutet, dass er viele berühmte Dinge besitzt. Er
schickte diesem Menschen reichlich Geschenke zum Hausgebrauch, und was ihm an Öl und Wein richtig
schien, und auch was genug an Weizen wäre, von seinem Zehnten als Grundabgabe. Dann rief er den König
zum Mahl. Den Speisesaal stattet er sehr prächtig aus; er hat das, an was er Überfluss hatte, aufgestellt,
nämlich sehr viele und sehr schöne silberne Gefäße -denn diese hat er noch nicht vergoldet. Er Sorgte dafür,
dass das Gastmahl mit allen Sachen ausgerüstet und bereitet werde. Was soll ich viel sagen? Der König
geht so weg, dass er geglaubt hat, dass dieser reich ausgeschmückt war und dass er ehrenvoll
angenommen wurde. Darauf hat er selbst den Prätor zum Essen eingeladen.
11. Darunter befand sich auch ein Weingefäß, und eine Schöpfkelle, aus einem einzigen sehr großen
Edelstein herausgeschnitten, mit einem goldenen Handgriff; über diese habt ihr, wie ich glaube, einen
genügend tauglichen und gewichtigen Zeugen, nämlich Quintus Minucius, schon sprechen gehört. Dieser
nahm jedes einzelne Gefäß in die Hand, lobte es und bewunderte es: der König freute sich, dass dem Prätor
des römischen Volkes jenes Gastmahl genug genehm und willkommen war. Nachdem man von dort
weggegangen war, dachte Verres, was der Sachverhalt selbst dann gezeigt hat, nur daran, wie er den König
ausgeraubt und ausgeplündert aus der Provinz entlassen könne. Er schickt einen Boten, um die schönsten
Vasen zu erbitten, die er bei ihm gesehen hatte. Er sagt, dass er sie seinen Bildstechern zeigen wolle. Da der
König jenen nicht kannte, gab er sie sehr gerne ohne jeden Verdacht. Er schickte auch jemanden um die
Schöpfkelle aus Edelstein zu erbitten; er wolle diese genauer betrachten. Auch diese wird ihm geschickt.
12. Achtet jetzt auf das Weitere, Richter, von dem ihr schon gehört habt, und was das römische Volk jetzt
nicht zum ersten Mal hören wird, und was bei den fremden Völkern bis in die entlegensten Länder sehr
bekannt ist. Als diese Könige, von denen ich spreche, einen Leuchter mit den schönsten Edelsteinen, ein
Wunderwerk der Vollkommenheit, nach Rom gebracht hatten, um ihn im Kapitol aufzustellen, konnten sie ihn
aber nicht aufstellen, weil sie den Tempel noch nicht vollendet antrafen und sie wollten ihn auch nicht dem
Volk zeigen und vorführen, damit er dann um so prachtvoller wirke, wenn er zu seiner Zeit in der Cella des
Jupiter Optimus Maximus aufgestellt würde,
und um so glänzender wirke, wenn seine Schönheit frisch und neu den Menschen vor Augen käme: sie
beschlossen, diesen wieder mit sich nach Syrien zu nehmen, um dann, wenn sie von der Weihe des
Götterbildes des Jupiter Optimus Maximus gehört hätten, Gesandte zu schicken, die unter den übrigen
Dingen auch jenes herausragende und ganz wunderbare Geschenk aufs Kapitol bringen sollten.
13. Die Sache kam irgendwie dem da zu Ohren; denn der König hatte dies verheimlichen wollen, nicht als ob
er irgend etwas fürchtete oder vermutete, sondern, damit nur wenige jenen eher zu sehen bekämen, als das
römische Volk. Der da verlangt vom König und bittet ihn mit vielen Worten, ihm diesen zu schicken; er sagt,
dass er ihn genau betrachten wolle und dass er anderen keine Gelegenheit geben werde, diesen zu sehen.
Antiochus, der sowohl von kindlichem als auch von königlichem Sinn war, ahnte nichts von der
Skrupellosigkeit des Verres. Er befiehlt seinen Leuten, den Leuchter eingewickelt möglichst heimlich zum
Amtssitz des Prätors zu bringen. Als sie ihn dorthin getragen und nach Entfernung der Hüllen aufgestellt
hatten, begann dieser zu rufen, dieses Stück sei würdig des Königreichs Syrien, würdig eines königlichen
Geschenkes, würdig des Kapitols. Denn er zeigte sich mit solchem Glanz, der von den glänzendsten und
schönsten Edelsteinen stammen musste, eine solche Mannigfaltigkeit der Ausführung, dass die
Kunstfertigkeit mir dem Reichtum zu wetteifern schien, eine solche Größe, dass man einsehen konnte, dass
er nicht zu menschlichem Prunk gemacht war, sondern zum Schmuck des ehrwürdigsten Tempels. Als es
schien, dass er den Candelaber schon genügend betrachtet hatte, begannen sie, ihn hochzuheben um ihn
zurückzutragen. Dieser da sagte, dass er ihn immer wieder anschauen wolle; er habe sich keineswegs schon
satt gesehen; er befahl jenen, wegzugehen, und den Candelaber zurückzulassen. So kehrten jene dann mit
leeren Händen zu Antiochus zurück.
14. Der König fürchtete zunächst nichts, er hatte keinen Argwohn; ein Tag verging, ein anderer, mehrere; er
wird nicht zurückgegeben. Er schickt dann einen Boten: wenn es ihm gut scheine, möge er ihn zurückgeben.
Dieser da befiehlt, man solle später zu ihm zurückkommen. Jenem erscheint es verwunderlich; er schickt
nochmals einen Boten; der Leichter wird nicht zurückgegeben. Er wendet sich persönlich an den Verres, er
bittet ihn um die Rückgabe. Erkennt nun das wahre Gesicht und die beispiellose Unverschämtheit dieses
Menschen! Diesen Kandelaber, der, wie er wusste und wie er vom König selbst gehört hatte, auf dem Kapitol
aufgestellt werden sollte, der, wie er
sah, für den Jupiter Optimus Maximus, für das römische Volk bestimmt war, begann er, für sich als
Geschenk zu erbitten, und mit größtem Nachdruck zu verlangen. Als jener sagte, dass er durch die Ehrfurcht
vor dem kapitolinischen Jupiter und durch die Rücksicht auf die öffentliche Meinung daran gehindert werde,
weil viele Völker Zeugen dieses Werkes und Geschenkes seien; da begann Verres, ihm in heftigster Weise
zu drohen. Sobald er sah, dass dieser ebenso wenig durch Drohungen wie durch Bitten umgestimmt wurde,
befahl er ihm, schnell noch vor Einbruch der Nacht, die Provinz zu verlassen; er sagte, er habe erfahren,
dass aus seinem Königreich Piraten nach Sizilien kommen würden.
15. Der König sagte vor einer sehr großen Versammlung in Syracus auf dem Marktplatz – es möge keiner
glauben, dass ich mich zufällig mit einer verborgenen Missetat befasse und irgend etwas ausdenke auf einen
bloßen Verdacht von Menschen hin – auf dem Forum in Syracus, sage ich, begann er weinend und die
Götter und Menschen anrufend, laut zu beteuern, dass den aus Edelsteinen gefertigten Leuchter, den er aufs
Kapitol senden wollte, der nach seinem Wunsche im herrlichsten Tempel für das römische Volk ein
Wahrzeichen seiner Bundesgenossenschaft und Freundschaft sein sollte, dass den Gaius Verres ihm
weggenommen habe. Hinsichtlich der übrigen Kunstwerke aus Gold und Edelsteinen, welche von seinem
Eigentum jetzt bei jenem seien, sei er nicht bedrückt, dass aber dieser Leuchter ihm entrissen werde, sei
erbärmlich und empörend. Wenn dieser auch schon vorher im Geist und in Gedanken von ihm und seinem
Bruder als Weihegeschenk bestimmt worden sei, wolle er ihn dennoch nun, vor jener Versammlung
römischer Bürger dem Jupiter Optimus Maximus geben, schenken, widmen und weihen und Jupiter selbst
rufe er als Zeugen seines Wunsches und seiner Gottesfurcht an. Welche Stimme, welche Kräfte können die
Klage über dieses eine Verbrechen durchhalten? König Antiochus, der in Rom vor unser
aller Augen fast zwei Jahre lang mit königlicher Begleitung und Hofhaltung gewesen war, dieser ist, obwohl
er ein Freund und Bundesgenosse des römischen Volkes war, obwohl sein Vater, sein Großvater, seine
Vorfahren mit uns sehr befreundet waren, obwohl er der Sproß uralter und sehr berühmter Könige war,
obwohl er der Herrscher über ein sehr reiches und sehr großes Königreich war, Hals über Kopf aus einer
Provinz des römischen Volkes vertrieben worden.
16. Wie werden die ausländischen Völker dies annehmen, wie, glaubst du, wird das Gerücht über deine Tat
in die Königreiche anderer und in die äußersten Gebiete gelangen, wenn sie hören, dass ein Prätor des
römischen Volkes in seiner Provinz einen König gekränkt, einen Gast ausgeraubt, einen Bundesgenossen
und Freund des römischen Volkes hinausgeworfen hat? Euer Namen und der des römischen Volkes wird
den auswärtigen Völkern, das sollt ihr wissen, verhasst und widerwärtig sein, Richter, wenn dieses so große
Unrecht von diesem ungestraft bleibt. So werden alle, zumal da die Kunde von der Habsucht und der
Begierde unserer Leute sich verbreitet hat, glauben, dass dies nicht die Tat von dem da allein sei, sondern
auch von denen, die es gebilligt haben. Viele Könige, viele freie Gemeinden, viele vermögende und
einflussreiche Privatleute haben in der Tat im Sinn, das Kapitol so auszuschmücken, wie es die Würde des
Tempels und der Name unserer Herrschaft verlangt; wenn diese aber erfahren haben, dass ihr entrüstet
gewesen seid über die Unterschlagung dieses königlichen Geschenkes, dann werden sie glauben, dass euch
und dem römischen Volk ihre Zeichen der Zuneigung und ihre Geschenke willkommen sein werden. Wenn
sie aber hören, dass ihr bei diesem so angesehenen König, bei einem so erlesenen Werk, bei einem so
bitteres Unrecht euch gleichgültig gezeigt habt, dann werden sie nicht so wahnsinnig sein, Mühe, Sorge und
Geld für die Dinge aufzuwenden, welche nach ihrer Meinung euch nicht willkommen sind.
17. Ich glaube, dass ich mich zu sehr mit einer Art von Verbrechen beschäftige; ich merke, Richter, dass der
Übersättigung eurer Ohren und eurer Herzen entgegengearbeitet werden muss. Aus diesem Grund werde
ich vieles überspringen. Aber ich bitte, ihr Richter, sammelt eure Kräfte für das, was ich euch sagen werde,
bei den unsterblichen Göttern, genau bei denen, von deren Nicht- Verehrung wir schon lange sprechen,
während ich seine Untat erwähne und hervorhebe, durch welche ich seine Untat erwähne und hervorhebe,
durch welche die ganze Provinz heftig bewegt worden ist. Wenn ich aber, wie es scheint, darüber zu weit
aushole und die Geschichte mit der Gottesverehrung auffrische, dann verzeiht: Die Grösse der Sache lässt
es nicht zu, dass ich nur kurz die Grässlichkeit dieses Verbrechens streife.
18. Alt ist die Meinung, ich Richter, die auf alten griechischen Schriften und Monumenten gründet, dass ganz
Sizilien der Ceres und der Libera geweiht ist. Das glauben die anderen Völker so, und ganz besonders die
Sizilianer selbst, sind von dem so überzeugt, dass es in deren Gemüter eingepflanzt und sogar eingeboren
zu sein scheint. Denn sie glauben, dass diese Götter sowohl in diesem Gebiet geboren wurden, als auch die
Früchte in dieser Gegend zum ersten Mal gefunden worden sind und zudem glauben sie, dass Libera,
dieselbe, welche sie die Proserpina nennen, aus einem Hain der Bewohner von Henna geraubt worden ist;
dieser Ort wird, weil er in der Mitte der Insel gelegen ist, der Nabel Siziliens genannt. Als Ceres diese
aufspüren und wiederfinden wollte, hat sie, wie man erzählt, eine Fackel am Feuer angezündet, welches aus
dem Krater des Ätnas herausfliesst, indem sie diese Fackeln vor sich her trug, hat sie den ganzen Erdkreis
durchwandert, wie überliefert wird.
19. Ich behaupte, dass genau diese uralte, äusserst ehrwürdige Ceres, der Ursprung aller Opferhandlungen,
die bei alle Völkern und Nationen vollzogen werden, von C. Verres aus ihren Tempeln und von ihren
Standplätzen geraubt worden ist. Ihr, die ihr alle schon in Henna gewesen seid, habt das Heiligtum der Ceres
aus Marmor gesehen und in einem anderen Tempel eines der Libera. Jene sind recht gross und sehr
berühmt aber nicht so alt. Es gab eine Statue aus Bronze, nicht besonders gross aber von einzigartiger
Ausführung, mit Fackeln und uralt. Von allen jenen, die in diesem Tempel waren, war sie die älteste, und
genau diese hat er weggetragen. Und trotzdem war er damit nicht zufrieden. Vor dem Tempel der Ceres,
unter offenem Himmel (= ausserhalb des Tempels) unter einem Vordach (nach vorne hin offen) gab es zwei
Standbilder, eines der Ceres und das andere von Triptolemus, von grosser Schönheit. Die Schönheit brachte
sie in Gefahr und ihre Grösse bedeutete ihre Rettung, weil deren Abreissen und Abtransport schien überaus
schwierig gewesen zu sein. Auf der rechten Hand der Ceres sass ein überaus schön gemachtes Standbild
der Viktoria; dieser hat dafür gesorgt, dass jenes aus der Statue der Ceres heraus gebrochen und
weggetragen wurde.
20. Wie ist seine Reaktion bei der Erwähnung seiner Verbrechen, wenn ich selbst schon bei der Erwähnung
dieser Verbrechen nicht nur im Innern bewegt werde, sondern auch am ganzen Körper zittere. Mir kommt
nämlich das Heiligtum, der Ort und dessen Verehrung in den Sinn. Ich habe alles vor den Augen, jeder Tag,
an dem, als ich nach Henna gekommen war, die Priester der Ceres mit Wollbinden und Zweigen vor mir
standen, auch die Versammlung und das Zusammenlaufen der Bürger wo ich die Rede hielt, so dass großes
Seufzen und Weinen aufgekommen ist und es schien, als ob sich die ganze Stadt in bitterster Trauer
befinden würde. Nicht über die willkürlichen Auflagen von Zehnten, nicht über die Plünderung der Güter, nicht
über die ungerechten Gerichtsentscheide, nicht über die ungebührliche Begierde von jenem da, nicht über
dessen Gewaltanwendung und nicht über die Beleidigungen, durch welche sie gequält und bedrängt wurden,
beklagten sie sich; die göttliche Macht der Ceres, das ehrwürdige Alter der Heiligtümer, die göttliche
Ehrfurcht vor dem Tempel sollten durch die Bestrafung dieses äußerst verbrecherischen und kühnen
Mannes gesühnt werden; sie sagten, dass es schien, als ob Verres als ein zweiter Orcus nach Henna
gekommen sei und nicht Proserpina weggeschleppt, sondern Ceres selbst gewaltsam entführt habe.
21. Und in der Tat scheint jene Stadt keine Stadt zu sein, sondern ein Tempel der Ceres. Die Bewohner von
Henna meinen, dass die Ceres bei ihnen wohnt, so dass sie mir nicht als Bürger jener Stadt vorkommen,
sonder alle als Priester, alle als Einwohner und Tempelvorsteher der Ceres zu sein scheinen. Du hast es
gewagt, das Heiligtum der Ceres aus Henna zu rauben und du hast versucht aus der Hand der Ceres die
Viktoria weg zu reißen und die Göttin der Göttin gewaltsam zu entreißen? Nichts von diesen Dingen haben
jene zu verletzen und zu berühren gewagt, jene Leute, in denen alle Eigenschaften beisammen waren und
welche dem Verbrechen näher sind als der göttlichen Ehrfurcht. Im Jahre der Konsuln P. Popilius und P.
Rupilius habe Sklaven, Entflohene Barbaren und Staatsfeinde jenen Ort besetzt gehalten; aber jene waren
nicht solche Flüchtlinge vor ihren Herren, wie du vor dem Recht und Gesetz, jene waren nicht solche
Barbaren hinsichtlich der Sprache und ihrer Nation, wie du von Art und Charakter und jene waren nicht
solche Feinde von den Menschen, wie du von den unsterblichen Göttern. Welche Entscheidung gibt es denn
noch für den, welcher die Sklaven an Gemeinheit, die Entflohenen an Verwegenheit, die Barbaren an
Verbrechen und die Staatsfeinde an Grausamkeit besiegt hat?
22. Nun werde ich wieder zu Marcellus zurückkehren, damit es nicht so scheint, dass diese Sachen ohne
Grund von mir erwähnt worden sind. Nachdem dieser die so strahlende Stadt mit Heeresgewalt erobert hatte,
hat er nicht geglaubt, dass es zum Ruhm der römischen Volkes diene, diese Schönheit zu zerstören und
auszulöschen, besonders, weil sich daraus keine Gefahr zeigte. Deshalb hat er alle öffentlichen und privaten,
alle heiligen und unheiligen Gebäude verschont, so, als ob er gekommen wäre, um jene mit dem Heer zu
verteidigen, und nicht, um sie zu erobern. Bei dem Schmuck der Stadt nahm er Rücksicht auf den Sieg, aber
auch auf die Menschlichkeit; er glaubte, dass es im Sinne des Sieges sein, viele dinge nach Rom zu bringen,
welche der Stadt als Schmuck dienen könnten, aber dass es im Sinne der Menschlichkeit sei, die Stadt nicht
gänzlich auszurauben, besonders weil er sie bewahren wollte. Der Sieg des Marcellus beanspruchte bei der
Aufteilung der Schmucks für das römische Volk nicht mehr, als wie die Menschlichkeit den Syrakusanern
aufbewahrte. Alles, was nach Rom gebracht worden ist, sehen wir im Tempel der Honas und Virtus, und
ebenso in anderen Orten. Er hat nichts in sein Haus und in seine Vorstadtvilla gestellt; denn er hat geglaubt,
dass sein Haus zukünftig Schmuck der Stadt sein wird, wenn er alle Schmuckstücke der Stadt nicht in sein
Haus gebracht hätte. In Syrakus ließ er sehr vieles und besonderes zurück; in der Tat hat er keinen Gott
verletzt und berührt. Vergleicht Verres nicht mit ihm, nicht um den Menschen mit dem Menschen zu
vergleichen, damit dem so beschaffenen Mann nicht noch in seinem Grabe Unrecht geschieht, sondern um
Frieden mit Krieg, Gesetz mit Gewalt, Marktplatz und Rechtsprechung mit Schwert und Waffen und Ankunft
und Begleitung mit Heer und Sieg zu vergleichen.
23. Der Tempel der Minerva ist auf einer Insel, von der ich früher gesprochen habe. Diesen hat er nicht
angerührt, er hat ihn voll und geschmückt zurückgelassen. Jener ist von diesem da so ausgeraubt und
zerstört worden, nicht von irgendeinem Feind, der trotz dem Krieg Ehrfurcht und Gewohnheitsrecht bewahrte,
sondern es scheint von barbarischen Räubern verwüstet worden zu sein. Die Reiterschlacht des Königs
Agathocles war auf einem berühmten Bild gemalt; die Innenwände des Tempels waren mit diesen Gemälden
ausgekleidet. Nichts war edler als dieses Bild, nichts gab es in Syrakus, was man für sehenswerter hielt.
Marcus Marcellus hat diese Gemälde nicht angerührt, weil er dennoch von Ehrfurcht gehindert wurde, obwohl
er durch seinen Sieg alles weltlich gemacht hatte; obwohl dieser da wegen dem Frieden und der Treue des
Syrakusanischen Volkes also jene Dinge als heilige und religiöse Dinge erhalten hat, hat er all jene Gemälde
weggeschafft, und die Wände, deren Schmuck über viele Jahrhunderte geblieben war, der so viele Kriege
überstanden hat, nackt und hässlich zurückgelassen.
24. Und Marcellus, der gelobt hat, dass er, wenn er Syrakus erobert hätte, in Rom zwei Tempel weihen wird,
er wollte, dass dies, was er erbauen wollte, nicht mit jenen Dingen schmücken, die er erobert hat: Verres, der
wie jener weder der Honos noch der Virtus, sondern der Venus und der Cupidita ein Gelübde schuldig war,
dieser versuchte, den Tempel der Minerva auszurauben. Jener wollte nicht, dass die Götter von Beute der
Götter ausgeschmückt werden, und dieser da trug die Schmuckstücke der Jungfrau Minerva zu einer Dirne.
Außerdem hat er 27 der sehr schön gemalten Bilder aus diesem Tempel geraubt, auf welchen die Abbilder
der Könige von Sizilien und die Tyrannen, die nicht nur die nicht nur durch die gemalten Kunstwerke, sondern
auch durch die Erinnerung der Menschen und von der Erkennbarkeit der Gestalt erfreut worden sind. Uns
seht, um wie viel schlimmer dieser Tyrann für die Syrakusaner war, als irgendeiner der früheren Tyrannen,
weil während jene die Tempel der Götter geschmückt haben, hat er jene Denkmäler und auch
Schmuckstücke geraubt.
25. Um noch öfter auf Marcellus zu sprechen zu kommen, so wisst, Richter, dass bei seiner Ankunft mehr
Götter als Menschen beim Sieg des Marcellus von den Syrakusanern vermisst worden sind. Man sagt, dass
jener auch nach Archimedes, ein Mann von höchstem Geist und von Wissenschaft, gesucht hat, und man
sagt, dass er sehr betroffen war, als er gehört hatte, dass jener getötet wurde; er hat alles, was er gesucht
hat, nicht um es zu bewahren, sondern um es wegzuschleppen. Schon das, was unbedeutender scheinen
wird, werde ich deshalb übergehen, nämlich, dass er die marmornen Tische aus Delphi, die schönen
ehernen Mischgefäße und eine große Menge an korinthischen Gefäßen aus allen heiligen Tempeln aus
Syrakus geraubt hat. Deshalb, Richter, pflegen diese, die Gäste zu jenen, die angesehen werden, zu führen,
und allein dies zu zeigen; Leute, die sie Fremdenführer nennen, hassen schon die Aufgaben des Erläuterns
umzuändern. Denn was sie vorher zeigten, was überall war, ebenso werden sie nun zeigen, was er überall
raubte. Er riskierte sogar den internationalen Konflikt.